Blindfolding Actions

Die Wissenschaft ist klar – warum ignorieren wir sie?

In den letzten zwei bis drei Jahren haben Mitglieder von Scientist Rebellion in vielen Ländern, darunter Deutschland, den Niederlanden, den USA und Frankreich, Statuen mit Augenbinden oder Knebel versehen.

Statuen, die im öffentlichen Raum aufgestellt werden, sind Ausdruck der Anerkennung eines politischen, wirtschaftlichen oder künstlerischen Einflusses auf unsere Gesellschaft. Sie repräsentieren Menschen, die eine Form von Macht symbolisieren. 

Indem wir Statuen ins Visier nehmen, machen wir auf Probleme in der Gesellschaft aufmerksam, die nicht mit der aktuellen Krise vereinbar sind. Dabei kann es sich entweder um Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens handeln, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, oder um die Verschleierung wissenschaftlicher Fakten durch populistische Politiker oder Polizeigewalt gegen gewaltfreie Protestierende. 

Gigadurst

Verschiedene Brunnen und Wasserspiele in Berlin

Bist du gerade durstig? Es ist ein warmer Tag, weswegen du vielleicht erstmal noch etwas trinken solltest. Ist es nicht schön frisches Trinkwasser so leicht erreichbar zu haben?

Vermutlich hast du noch nie darüber nachgedacht wie es ist in einer Region zu leben, in der Wasser knapp ist, oder?

Ich schon. Es ist vielleicht nicht leicht zu bemerken, da wir in Berlin und Brandenburg von Wasser umgeben sind, aber die Region hat die geringsten Niederschläge Deutschlands. Unser Problem ist die Wiederanreicherung von Wasser!

Unser Wasser -das Wasser in den Seen, in meinem Brunnen oder in deinem Haus, wenn du den Wasserhahn aufdrehst- kommt aus dem Grundwasser des Spree-Einzugsgebiets. Dieses Reservoir versiegt langsam.

Musk hat sicherlich darüber nachgedacht wie durstig du bist. Zumindest hat er der Brandenburger Landesregierung gegenüber das Argument gebracht, dass er mehr Wasser als du braucht. Seine Gigafactory dürstet nach 1.4 Millionen Kubikmetern Wasser pro Jahr. Das ist so viel wie 31,000 Personen in diesem Zeitraum verbrauchen!

Es besteht auch die Idee, dass Tesla hier noch Batterien produziert. Dies würde noch sehr viel mehr Wasser benötigen.

Dabei ist die Produktion der Autos schon kein sauberes Geschäft... Teslas Gigafactory begann schon 2021 mit der Produktion von Fahrzeugen mitten in einem Wasserrückgewinnungsgebiet noch bevor eine vollständige Genehmigung vorlag.

In einem vor kurzem erschienenen Report des Leibniz-Instituts für Frischwasserökologie und Inlandsfischerei haben die Forschenden ihre Sorge ausgedrückt, dass verschmutztes Wasser von Tesla zu nah an den Brunnen der Berliner Wasserbetriebe in die Umwelt entlassen wird. Berlins Wasserversorgungs- und Schmutzwassersystem ist teilweise geschlossen. Dies bedeutet dass einmal aufgenommene Schadstoffe in ihm zirkulieren würden.

Unglücklicherweise ist der einzige der überprüft, ob Tesla sein Schmutzwasser korrekt behandelt und Giftstoffe entfernt bevor dieses in das Müggelsee-Gebiet entsorgt wird... Dreimal darfst du raten! Genau Tesla selbst! Da schon jetzt dutzende Umweltverschmutzungen berichtet wurden (z.b. Leckage von Farbe oder von flüssigem Aluminium sowie eine illegale Müllhalde) könnte unser Wasser daher schon jetzt einen bitteren Nachgeschmack haben.

Die geknebelten Statuen drücken Angst, Trauer, Wut, Verzweiflung aus. Die Gefühle die Menschen in Berlin-Brandenburg haben, wenn sie an Tesla und ihr Grundrecht auf sauberes Wasser denken und ihre Stimme von der Politik ignoriert wird.

Wir müssen unser Wasser verteidigen! Stoppt Tesla!

Quellen:

https://www.igb-berlin.de/en/news/berlin-brandenburg-region-and-tesla-gigafactory(https://www.igb-berlin.de/en/news/berlin-brandenburg-region-and-tesla-gigafactory)

https://t-den-hahn-abdrehen.org/eine-gigafabrik-im-trinkwasserschutzgebiet/(https://t-den-hahn-abdrehen.org/eine-gigafabrik-im-trinkwasserschutzgebiet/)

Ignorierte IPCC Berichte

Der Text auf der Augenbinde lautet "IPCC" und bezieht sich auf Berichte über den Klimawandel, die von Hunderten von Wissenschaftler:innen auf der ganzen Welt zusammengestellt wurden, damit politische Akteure fundierte Entscheidungen treffen und entsprechend den wissenschaftlichen Fakten über den Klimawandel und seine Folgen handeln können.

Die IPCC Berichte sowie deren Zusammenfassungen für die Politik sind nachzulesen unter: https://www.ipcc.ch/reports/

Die Berichte des IPCC wurden im Laufe des letzten Jahrzehnts regelmäßig veröffentlicht, ohne dass die Politik sich ernsthaft mit den bekannt gemachten Erkenntnissen, weniger noch mit deren Umsetzung, auseinandergesetzt hat. Weder Medien noch Bürgerinnen und Bürger haben den dazu notwendigen Druck ausgeübt. Als Europäerinnen und Europäer schätzen wir uns als vernünftige, lösungsorientierte Menschen ein, während wir tatsächlich das Ausmaß der Katastrophe ignorieren bzw. nicht so handeln, wie wir es müssten, um ihr zu entgehen – und die Situation läuft aus dem Ruder, wenn wir das Problem weiter ignorieren!

Indem wir Statuen die Augen verbinden, wollen wir anprangern, wie einflussreiche Persönlichkeiten die Realität der Klima- und Biodiversitätskrise sowie die in den IPCC-Berichten vorgeschlagenen transformativen Lösungen weiterhin ignorieren.

Die zum Schweigen gebrachte Wissenschaft

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der es Wissenschaftler:innen verboten ist, sich zu äußern, ihre Ergebnisse zu kommunizieren oder diese in Schulen zu lehren. Eine Welt, in der es keine Stimme gäbe, die über die Gefahren für unsere Welt, wie wir sie kennen, berichtet. Die Menschheit wäre nicht in der Lage, mit Gefahren, Krisen und der Komplexität der Welt umzugehen.

Wir haben das Glück, nicht in dieser Situation zu sein. Wissenschaftliche Ergebnisse werden veröffentlicht und anerkannt, wie es bei den IPCC-Berichten der Fall ist. Dennoch haben die politischen Entscheidungsträger:innen die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die in den Berichten vorgeschlagenen Transformationsszenarien nie ernsthaft aufgegriffen. Weder die Medien noch die Zivilgesellschaft haben stark genug reagiert, um den notwendigen Wandel anzustoßen. Während wir uns als Europäer als vernünftige, besonnene Problemlöser sehen, ignorieren wir in Wirklichkeit die Schwere der Krise und handeln nicht so, wie wir sollten – und sie wird immer zerstörerischer, je länger wir sie ignorieren!

Die Statuen der geknebelten Wissenschaftler zeigen, wie diejenigen, die Alarm schlagen, seit Jahrzehnten zum Schweigen gebracht und abgetan werden. Diese Stimmen waren so vielfältig wie die der Ökonom:innen, die vor den Folgen des Kapitalismus und der Industrialisierung warnten, der Pädagog:innen, die auf der Notwendigkeit einer Bildung für alle sozialen Schichten bestanden, und der Philosoph:innen, die vor den Risiken warnten, die entstehen, wenn man kein kritisches Denken anwendet. Einstein bezeichnete 1949 die Kontrolle der Informationsquellen durch Unternehmensinteressen als Bedrohung für das Wohlergehen, und Alexander von Humboldt wies bereits 1844 darauf hin, dass Kohlebergbau und Abholzung das Klima verändern würden. Das Wissen über die Klimaentwicklung und ihre Auswirkungen auf die menschlichen Gesellschaften ist also schon seit langem verfügbar!

Einige Statuen von Wissenschaftlern sind geknebelt, als Symbol dafür, dass ihre wissenschaftlichen Warnungen jahrzehntelang ignoriert wurden.

Kriminalisierung friedlicher Protestierender

Seit 2004 sind die Buddy Bears Botschafter eines weltoffenen Berlins. Sie fördern das friedliche und respektvolle Miteinander aller Menschen und setzen sich für eine nachhaltige Zukunft ein.

Warum steht "Polizeigewalt" auf der Augenbinde?

Das Vertrauen in die Polizei ist ein Grundpfeiler unserer demokratischen Ordnung. So wird es uns in der Schule beigebracht. Wir glauben, dass die Polizei uns nicht verletzen wird, wenn wir gewaltfrei handeln. Heutzutage wird dieses Vertrauen aber zunehmend beschädigt. So erleben immer mehr Menschen, was für People of Color der bedrohliche Alltag ist. Gewaltfreie Bürgerinnen und Bürger, einige sogar minderjährig, werden immer häufiger mit Schmerzgriffen konfrontiert, wenn sie friedlich für eine lebenswerte Zukunft protestieren. Dabei stehen der Polizei oft mildere Mittel wie das Wegtragen von Blockierern zur Verfügung. Die Wirkung von Schmerzgriffen ist für Beobachter schwer zu sehen. Sie führen aber oftmals zu physischen und psychischen Verletzungen.

Die verbundenen Augen der Buddy Bears symbolisieren die Blindheit der allgemeinen Öffentlichkeit gegenüber Polizeigewalt, obwohl die Öffentlichkeit die von den Buddy Bears vermittelten Werte teilt. Die gehobenen Hände hingegen zeigen die generelle Handlungsunfähigkeit unserer Gesellschaft. Andererseits können die Buddy Bears auch für die Klimagerechtigkeitsaktivisten selbst stehen, die mit der Augenbinde ihre Tränen über den erlebten Schmerz und ihre Trauer über die Folgen der Erdwärmung verbergen müssen. Die gehobenen Hände zeigen hier: "Wir sind friedlich".

Aber die Aktivistinnen und Aktivisten stehen nicht ganz alleine da. Der UN Sonderberichterstatter Michel Forst sieht in der Repression der Klimabewegung von staatlicher Seite sogar eine der größten Bedrohungen unserer Demokratien und der Menschenrechte.

„Die Unterdrückung, der Umweltaktivisten, die friedlichen zivilen Ungehorsam praktizieren, derzeit in Europa ausgesetzt sind, stellt eine große Gefahr für die Demokratie und die Menschenrechte dar. […] Es ist an uns allen, den Umweltschützern Gehör zu schenken.“ — Michael Forst, siehe [1]

‏‏‎‎Bitte beachten Sie, dass die folgenden Quellen hauptsächlich in deutscher Sprache verfasst sind.

Ein Video massiver körperlicher Polizeigewalt gegen einen friedlichen Aktivisten finden Sie hier. Entgegen der Behauptung des Verwaltungsgerichts Berlins‏‏‎ ‎gehören Schmerzgriffe zur gängigen polizeilichen Praxis, wie zahlreiche Video- und Fotoaufnahmen zeigen.

Beispielhaft sei hier auf einen offenen Brief an die Innenministerin von Berlin von Prof. Dr. Stefan Müller verwiesen. Er ist eine Reaktion auf massive Polizeigewalt im Frühjahr diesen Jahres bei einer Versammlung von Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Weitere juristische Information können dem VerfBlog‏‏‎ ‎‎entnommen werden, deren Autorinnen und Autoren Mitverfasser der vor kurzem erschienenen Studie Gewalt im Amt: Übermäßige polizeiliche Gewaltanwendung und ihre Aufarbeitung“.

Zum Hintergrund des Zivilen Ungehorsams

Laut dem letzten IPCC Synthesebericht 2023‏‏‎ ‎ist die Einhaltung des 1.5°C Ziels des Pariser Klimaabkommens faktisch unmöglich geworden. Um etwas mehr als eine 50:50 Chance zu haben um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Treibhausgasemissionen bis 2030 auf 57% des Niveaus von 2019 fallen. Zudem müssen wir in großem Maßstab Kohlendioxid aus der Luft entfernen. Ein Dokument, welches diese Informationen leicht verständlich zusammenfasst, finden Sie hier.

Die Folgen der bisherigen Klimaerwärmung sind schon heute deutlich zu spüren. Eine Zunahme von Hitzewellen, Dürren und Überflutungen beobachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur im weitaus stärker betroffenen globalen Süden, sondern auch in Europa.

Trotzdem nehmen Polizeigewalt, staatliche Repressionen und Medienhetze gegenüber Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten auch in Deutschland zu. Dies steht der Dringlichkeit des politischen Handelns diametral entgegen. Nur schnelles und entschiedenes Handeln kann die humanitären, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Klimakatastrophe abmildern.

Zur Zeit spielen wir russisches Roulette mit unserer Zukunft!

In Europa werden Umweltorganisationen, die von Politiker:innen verlangen, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuerkennen und entsprechend zu handeln, zunehmend vom Staat unterdrückt und kriminalisiert.

In den vergangenen Jahren haben sie bei gewaltfreien Aktionen zivilen Ungehorsams zunehmende Polizeigewalt erlebt. In Deutschland werden Versuche einer systematischen Kriminalisierung von Klimagruppen immer häufiger. Vier Mitglieder der „Letzten Generation“ werden offiziell beschuldigt, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. unterliegt deutschem Recht (§129 StGB). Eine kurze Zusammenfassung von Prof. Dr. Roland Hefendehl, warum §129 in solchen Fällen problematisch ist, finden Sie hier (auf Deutsch). Ein weiterer aktueller Fall ist die Einstufung von „Ende Gelände“ als ein Verdachtsfall von extremer Linksextremismus by the Federal Office for the Protection of the Constitution. In the UK, Aktivisten von Just Stop Oil wurden wegen des Verdachts der Planung von Aktionen festgenommen..

Unsere Bitte: Reden Sie darüber!

Teilen Sie die Informationen: Eine lebendige Demokratie lebt von informierten Bürgerinnen und Bürgern. Andernfalls wird unsere Demokratie systematisch von Gewalt und Klimakatastrophe unterhöhlt, wodurch unsere und die Freiheiten unserer Kinder verschwinden würden.

Quellen

[1] Green Legal Spaces Report 2023, pdf, Green Legal Impact Germany e.V.