Geerdete Wissenschaft

Sind wir sicher, dass wir nicht gefeuert werden, wenn wir uns weigern zu fliegen?

Im Jahr 2023 wird Dr. Gianluca Grimalda, ein Verhaltensökonom, vom Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) entlassen, weil er sich weigert zu fliegen. Dr. Grimalda vermeidet schon seit vielen Jahren Flugreisen. Um seine CO2-Emissionen zu minimieren, reiste er zu Feldforschungszwecken hauptsächlich auf dem Land- und Seeweg nach Papua-Neuguinea. Das IfW war sich dessen bewusst und bat ihn dennoch, nach Beendigung der Exkursion innerhalb weniger Tage wieder in Kiel zu sein - was nur mit dem Flugzeug möglich war. Dr. Grimalda blieb seiner Überzeugung treu und verlor seine Stelle.

“Grimalda, who has avoided flying for more than a decade, said he had promised the people he met during his field work – some of whom had been displaced by rising waters – he would minimise his carbon emissions on his return journey.” 12. Oktober 2023 The Guardian

“Dr. Grimalda said his fieldwork had lasted seven weeks longer than expected, partly due to a volcanic eruption and security threats; he said he was held hostage by a group of machete-wielding bandits.” 12. Oktober 2023 The New York Times

“I suspect that my involvement with civil disobedience in some climate-related protests last year maybe also was a factor in the stance of my employer,” the researcher, who is a member of Scientist Rebellion, adds.” 25. Oktober, 2023, Euronews

“By refusing to fly, Gianluca Grimalda is showing leadership at a moment when deep and rapid changes are required,” Schrage says. “Such behaviour should be encouraged, and not reprimanded.” 8. November 2023 Nature

“As a committed “slow traveller”, Dr Grimalda refuses to fly unless strictly necessary in order to minimise carbon dioxide emissions, opting instead to travel by rail, road and sea on trips that can span months. When the Kiel Institute ordered his return last September, he presented them with an alternative six-week travel plan, offering to take unpaid leave for the duration.” 4. März 2024, Times Higher Education

“„Viele werden denken, dass es verrückt wäre, wegen eines Fluges einen Job aufzugeben“, sagte Grimalda dem Tagesspiegel. Zumal es sich um einen „tollen Job“ handele. „In der derzeitigen Ära des Klimazusammenbruchs wäre es nach meiner Meinung aber nur verrückt, so weiterzumachen, wie bisher.“ Grimaldi habe sich schon vor langer Zeit dazu entschlossen, den Schutz des kollektiven Wohlergehens der menschlichen und tierischen Arten über seine persönlichen Interessen zu stellen. „Was ich tue, steht im Einklang mit diesem Auftrag.“” 5. Oktober 2023 Tagesspiegel 

“Nicht nur er ist der Meinung, dass seine Kündigung ungerechtfertigt ist. Wissenschaftler aus ganz Europa haben eine Pe­tition gestartet, die bereits mehr als 9000 Unterschriften erhalten hat. Auch sie verlangen, dass Grimalda wieder eingestellt wird. Einige Forscher vermuteten auch, dass die Kündigung mit Grimaldas Aktivismus bei Scientist Rebellion zu tun hat.” 21. Februar 2024 Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wir erleben die heißesten Jahre seit über 120.000 Jahren, und dennoch werden akademische Einrichtungen so geführt, als ob alles so wäre wie immer. Wissenschaftler:innen fliegen von Konferenz zu Konferenz, als ob sie von der physischen und ökologischen Realität dieser Welt abgekoppelt wären. Der Lebensstil des international vernetzten Wissenschaftlers wird romantisiert und als unverzichtbar dargestellt. Doch die akademische Fliegerei hat wenig Einfluss auf den wissenschaftlichen Erfolg (Wynes et al. 2019).

Es gibt Daten, die belegen, dass häufiges Fliegen einen geringen Einfluss auf den akademischen Erfolg hat.

Zitate aus "Academic air travel has a limited influence on professional success" von Wynes at al. 2019

„Anhand einer Datenbank über beruflich bedingte Flugreisen an einer großen kanadischen Universität haben wir festgestellt, dass die durch Flugreisen verursachten Emissionen, die Entfernung und die Anzahl der Flüge nicht mit der akademischen Produktivität, gemessen am h-Index (korrigiert an das akademisches Alter und die Disziplin des Akademikers), oder mit dem Interessengebiet des Akademikers zusammenhängen (grüne Akademiker flogen nicht weniger als ihre Kollegen).

„Millionen von Studenten werden jedes Jahr an den Universitäten mit den gesellschaftlichen Normen für berufliches Verhalten vertraut gemacht, und eine Universitätskultur, die ausgiebige Flugreisen befürwortet, wird die öffentliche Akzeptanz von Maßnahmen zur Einschränkung von Flugreisen und zur Förderung von Videokonferenzen erheblich erschweren."

Neben diesen Daten stellt sich auch immer die moralische Frage. Sollten wir unsere Karrieren für wichtiger halten als die Zukunft der Welt, wie wir sie kennen?

Die wissenschaftliche Gemeinschaft beklagt seit Jahrzehnten, dass ihre Warnungen vor der Klima- und Biodiversitätskrise nicht ernst genommen werden. Vielleicht auch, weil sich die Akademiker:innen selbst nicht so verhalten, als ob die größte Bedrohung für die Menschheit real wäre? Auch wenn individuelles Verhalten allein ohne weitreichende politische Maßnahmen nicht ausreicht, um den globalen CO2-Ausstoß schnell genug zu reduzieren (IPCC AR6 WGIII), kommt Wissenschaftler:innen eine besondere Vorbildfunktion zu. Studien zeigen, dass die Öffentlichkeit Wissenschaftler:innen, die seltener fliegen, als glaubwürdiger wahrnimmt (Attari et al., 2016). Dennoch werden häufige Flugreisen, auch Kurzstreckenflüge, von akademischen Institutionen unterstützt und sogar gefördert, und wie im Fall von Dr. Grimalda, kann ein Verzicht aufs Fliegen schwerwiegende Folgen haben.

Zitat aus Statements about climate researchers’ carbon footprints affect their credibility and the impact of their advice by Attari et al., 2016

„Wir haben herausgefunden, dass die Offenlegung großer Kohlenstoff-Fußabdrücke die Glaubwürdigkeit des Forschers im Vergleich zu kleinen Fußabdrücken verringert und dass diese Unterschiede in der wahrgenommenen Glaubwürdigkeit die Neigung der Teilnehmer, ihren eigenen Energieverbrauch zu ändern, stark beeinflussen."

Niemand sollte seinen oder ihren Job verlieren, weil er oder sie entsprechend der Realität der Klimakrise handelt. Erst recht nicht an wissenschaftlichen Einrichtungen, die sonst auf der Bedeutung der Wissenschaft insistieren. Außerdem sollten Universitäten und Institute das Fliegen ihrer Angestellten reglementieren und alternative Reisemöglichkeiten attraktiver machen, um Wissenschaftler:innen dabei zu unterstützen, das Richtige zu tun.

“The Air Travel Project of ETH Zurich motivates affiliates to reduce their greenhouse gas emissions from work-​related air travel in a participatory, evidence-​based and solution-​oriented approach.” 

“Business trips of employees of Utrecht University account for 11% of Utrecht University’s total CO2 emissions. … Travel will be by train if the distance is less than 700 km or with a travel time of up to 8 hours, calculated from Utrecht Central Station.”

“Before any official travel on behalf of the university (Vrije Universiteit Amsterdam), the employee concerned should evaluate whether the journey is absolutely necessary or whether there are online alternatives, and how the trip could be made with as little negative impact on the environment as possible.”

University of Amsterdam staff who engage in official travel abroad cause almost 4,000 tonnes of CO2 emissions a year. This is almost 6% of the UvA’s total emissions. … We will no longer fly to destinations that can be reached by train within six hours.”

Further reading regarding academic travel: Stay Grounded , Tyndall Centre , Flyingless

Map of Academic Air Travel Reduction Projects

!!! Wohlgemerkt, dies sind Beispiele, die es Akademiker:innen leichter machen, das Richtige zu tun (weniger zu fliegen). Die Klima- und Umweltkrise ist jedoch bereits so weit fortgeschritten, dass wir radikale und nicht schrittweise Veränderungen brauchen. Fliegen sollte nur in seltenen Ausnahmen in Betracht gezogen werden. !!!

Lange Rede, kurzer Sinn: Gianlucas Fall und die Welt, die buchstäblich in Flammen steht, verlangen von uns, dass wir aktiv werden. 

Beteilige dich und hilf uns, den Fall von Dr. Grimalda bekannt zu machen und zu fordern, dass akademischen Einrichtungen den Warnungen der Wissenschaftler Folge leisten.

Schreib deinem:r Dekan:in

Wir stellen einen Beispieltext für eine E-Mail zur Verfügung. Passe ihn an deine Universität oder dein Institut an und sende ihn an deinen Dekan oder die akademische Leitung. Leite ihn auch an deine Kollegen weiter, damit sie dasselbe tun können.

Papierflieger

Lade unseren Papierflugzeug-Flyer herunter und verteile ihn an Orten, an denen sich akademische Personal aufhält (z. B. in Cafeterias, Besprechungsräumen, Sitzgelegenheiten auf den Fluren).

Sehr geehrter Herr / Sehr geehrte Frau

Wie Sie vielleicht aus den Medien erfahren haben, hat der Verhaltensökonom Dr. Gianluca Grimalda seinen Job am Kieler Institut verloren, weil er sich weigerte, zu fliegen. Dr. Grimalda vermeidet schon seit vielen Jahren Flugreisen. Um seine CO2-Emissionen zu minimieren, reiste er zu Feldforschungszwecken hauptsächlich auf dem Land- und Seeweg nach Papua-Neuguinea. Das IfW wusste das und verlangte dennoch, dass er am Ende der Exkursion innerhalb weniger Tage wieder in Kiel sein musste - was nur per Flugzeug möglich war. Dr. Grimalda blieb seiner Überzeugung treu und verlor seine Stelle.

Ich mache mir wirklich Sorgen, dass mir so etwas hier an unserer/m Universität/Institut XYZ passieren könnte.

Die Klimakrise spitzt sich zu, und dennoch fliegen die Wissenschaftler von Konferenz zu Konferenz, als ob sie losgelöst von der physikalischen und ökologischen Realität leben würden.

Ich bitte Sie, öffentlich Stellung zu beziehen und diejenigen zu unterstützen, die wissenschaftliche Warnungen ernst nehmen und entsprechend handeln. Wir Akademiker:innen haben eine besondere Vorbildfunktion. Bitte unterstützen Sie uns dabei, das Richtige zu tun und helfen Sie uns auch, den Dienstflugverkehr an unserer Universität / unserem Institut zu reduzieren!

Mit freundlichem Gruß,

Quellen:

Seth Wynes, Simon D. Donner, Steuart Tannason, Noni Nabors (2019), Academic air travel has a limited influence on professional success. Journal of Cleaner Production, Volume 226, 959-967.

Shahzeen Z. Attari, David H. Krantz,  Elke U. Weber (2016), Statements about climate researchers’ carbon footprints affect their credibility and the impact of their advice. Climatic Change 138, 325–338.

Stefan Gössling, Andreas Humpe (2020), The global scale, distribution and growth of aviation: Implications for climate change. Global Environmental Change, 65.

Bitte mache Fotos! Zieh dir deinen Laborkittel an und mach Fotos von dir und den Papierfliegern an einigen erkennbaren Orten deiner Universität/deines Instituts und poste sie auf deinen Social-Media-Kanälen ein.

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